SZ 13. November 2020

Stadtteilprojekt im Hasenbergl

Dort oben brennt noch Licht

 

Jeden Donnerstagabend verwandeln sich die Saalfenster im dritten Stock des Kulturzentrums 2411 in eine Videowand. Das Haus im Hasenbergl will Künstlern und Institutionen ein Forum geben, sichtbar zu bleiben 

Von Ilya Portnoy 

Foto: Stephan Rumpf

Was als Experiment begann, hat sich in den vergangenen Wochen allmählich zu einem festen Ereignis entwickelt. Weil der Saal im dritten Stock des Kulturzentrums 2411 aufgrund unzureichender Belüftung schon vor dem Teil-Lockdown vorübergehend nicht genutzt werden konnte, hat sich die Geschäftsführerin Kathrin Göttlich etwas Neues überlegt. Man könne den Saal nicht einfach "brach liegen lassen", sagt sie. Nun verwandeln sich die Saalfenster an der Blodigstraße 4 jeden Donnerstag von 19 Uhr an in eine Videowand.

Monatelange Vorbereitungen waren nötig, um das Stadtteilprojekt "Videoboart" einzurichten. Feine Folien, die das Bild des Beamers aus dem Saal nach außen tragen, wurden dazu in mehreren Phasen ganz vorsichtig auf- und wieder abgeklebt, bis man das richtige Material gefunden hatte. Mitte Oktober gab es dann die erste Vorführung. Über das Ergebnis zeigt sich Göttlich "selber total überrascht und berührt". Von Beginn an komme das Videoboart bei den Passanten gut an, die aus der U-Bahn huschend oder auf dem Weg ins Kaufhaus eilend spontan stehen bleiben, um auf die Installation zu blicken. "Etwas Warmes anziehen", rät Göttlich, dann bleibe Zeit genug zum Reflektieren. Um den Moment solle es gehen. Der Platz gewinne indessen mit der Videowand einen neuen Akzent. Ein architektonisches Element wird ebenfalls einbezogen. "Die gebrochene Fensterstruktur erregt auch in der Wahrnehmung einen Bruch", so Göttlich.

Mariano von Plocki war mitverantwortlich für die Installation; er ist einer jener Künstler, die ihre Kurzfilme an der Fassade präsentieren. Der aus Argentinien stammende Kameramann, Cutter sowie begeisterter Dokumentarfotograf ist überzeugt, dass Videos dramaturgisch aufgebaut sein müssen. Sie sollten "berühren, also nicht nur eine Farbdarstellung sein, sondern etwas Neues in Bewegung setzen".

Laufend werden neue Produktionen eigens für die Wand geschaffen. Den Bewerbern für das Videoboart-Projekt seien keine Grenzen gesetzt. Von dokumentarisch bis schräg sei alles, unter Einhaltung der technischen Anforderungen, möglich. So kommen auch Fotofolgen an die Wand. Um perfekte Bilder gehe es bei diesem Projekt nicht, betonen die Verantwortlichen, sondern um Geschichten und Emotionen. Nur eines haben die Kurzfilme, die jede Woche für eine knappe halbe Stunde projiziert werden, gemeinsam: Eine Tonspur fehlt. Besonders reizvoll an diesem Stummfilmcharakter findet Mariano von Plocki, dass die Betrachter sich so nur auf das reine Bild einlassen. Es gebe keine, zuweilen störenden, Dialoge, Soundeffekte oder Musik. Auch für Gehörlose liege hierin eine Chance. Auf Untertitel verzichten die Veranstalter bewusst. Dies ermögliche es, die Videos ohne jegliche Anspannung zu betrachten.

Vom Videoboart erwartet sich Plocki, dass die Betrachter, ähnlich wie beim Verlassen des Saals nach einer tollen Kinovorstellung, auf dem Heimweg "ein kleines Geschenk mitnehmen". Seine Filme bilden Alltagssituationen ab und sollen dabei das Leben aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. "Die Leute gestalten die Bilder, nicht ich", so Plocki, der auf eine "Inszenierung" bewusst verzichtet. Zu sehen sind etwa Männer, die aus Aloe Vera ein Getränk zubereiten, von der Zerteilung der Pflanze bis zur anschließenden Verkostung. Ein anderer Kurzfilm zeigt Frauen verschiedenen Alters bei einer Marktszene in Lateinamerika. Beeindruckende Bilder sind da unter anderem zu sehen, die von der Klasse Plockis als Streetphotographer zeugen, von seinem Gespür, das Besondere gerade im Alltäglichen zu erkennen.

Göttlich und Mariano von Plocki kennen sich gut, in der Stadtteilkultur 2411 gab es schon eine große Fotoausstellung des Künstlers. Die Geschäftsführerin schätzt vor allem dessen große Erfahrung und die gegenseitige Motivation. Auf Unterstützung hofft man nun seitens des Bezirksausschusses. Die Situation sei für alle Kulturschaffenden prekär, so Göttlich, was auch ausschlaggebend für ihre Idee war, wenigstens auf diese Weise Künstlern ein Forum zu bieten. Darüber hinaus biete sich die Chance für Vereine und Einrichtungen des Stadtteils, sich auf der Videowand zu präsentieren. Hier könnten sie etwa Aufnahmen ihrer Feiern zeigen. Für die Verantwortlichen spricht nichts gegen eine Nutzung als Werbefläche, solange es bei "Werbung für Künstler" bleibt.

 

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